Was ist eigentlich der Unterschied zwischen dem Barock und dem „Klassischen“ Geigenspiel?

Das Unterrichten ist eine faszinierende Beschäftigung – ich bin davon überzeugt, dass ich dabei genauso viel lerne – oder vielleicht sogar mehr – als die „Studierenden“.

Eine Sache, die mir immer deutlicher geworden ist, ist, was das Barockviolinen-spiel wirklich ausmacht – oder besser gesagt – was man tun muss, damit eine Barockgeige nicht nur stilistisch, sondern überhaupt schön klingt. Das lerne ich gerade beim Beobachten meiner Studierenden – vor allem der ganz Neuen.

Also ist es so weit – die erste Barockvioline Stunde ist da. Ein Instrument mit reinen Darmsaiten ist vorhanden, samt Barockbogen, und die Spannung ist groß!

Wir spielen ein bisschen zusammen…

Wie kann es aber sein, dass so ein schönes Instrument, mit teueren Saiten und speziellem Bogen trotzdem irgendwie dünn und nicht so schön klingt, wenn es mit dem normalen „Equipment“ dieser Person doch einen super schönen Klang erzeugen kann?

Hier also erkennt man den ersten großen Unterschied – dass die Barockmusik, ihre Klangästhetik und wie wir diese mit der Bogentechnik umsetzen, ganz anders ist, als bei der Musik des 19. oder 20. Jahrhunderts. Hier müssen wir uns erstmals anders einstellen: Im klassischen Studium hat man stundenlang daran gearbeitet, damit der Bogenstrich genau gleich stark beim Auf- und Abstrich ist. Auch der „nahtlose Bogenwechsel“ gehört dazu. Wenn wir nach diesen Schönheitsidealen mit unserem Barockbogen streben, dann klingt die Barockmusik nicht nur eckig und abgehackt, sondern der Barockbogen ist dazu so ungeeignet, dass auch der Ton damit schwach und unentschlossen klingt.

Also müssen wir umlernen – dass Ungleichheit eigentlich schön ist! Genauso wie mit einem Federstift, bei dem man die schönen Buchstaben mit starken und schwachen Kanten schreibt, oder wie bei einer Malerei von Caravaggio, bei der das „Chiaroscuro“ (Hell-Dunkel-Effekte) den Ausdruck verstärkt: Beim Spielen sollen Ab- und Aufstriche ganz verschiedene Qualitäten haben können. Als Ausgangspunkt könnte man ganz einfach sagen, dass Abstriche, die normalerweise auf den „starken“ betonten Schlag mehr Gewicht haben - ein bisschen tiefer in der Saite gehen. Man kann und soll daraus aber keine strikte Regel machen.

Vielleicht war es die Industrielle Revolution, die uns an das Streben nach „Gleichheit“ gewöhnt hat? Mit der Einführung der Maschinen, deren Stärke oder Schönheit darin liegt, ohne Mühe viele exakt gleiche Bewegungen zu machen, hat die Faszination dafür auch die Künste beeinflusst.

Was hilft uns also umzudenken, und in die (“ungleiche”) Barockspielweise hineinzukommen?

Ich finde, dass das “Sprechen” mit dem Bogen am schnellsten wirkt und auch Spaß macht. Also versetzen wir uns zurück in die Zeit um 1600, als Komponisten wie Giulio Caccini (Le Nuove Musiche, 1602) die neuesten Entwicklungen in der Musik vorantrieben. Sie bevorzugten Effekte und Worte durch eine solistische Stimme mit Bassbegleitung darzustellen, anstatt durch Kompositionen, bei denen der Text durch viele Stimmen verwischt wurde.

Für uns ist also unser Bogen unsere Stimme – und das bedeutet in der Barockmusik, dass wir nicht nur singen können, sondern dass wir wie ein Barocksänger damals singen können. Das heißt, mit Worten, die man „verstehen“ kann und die einen speziellen „Affekt“ oder eine bestimmte Emotion kommunizieren. Mit anderen Worten – eine Vielfalt an Artikulation und Farben!

Also fangen wir mit Worten an - wir sprechen und imitieren das mit unseren Bögen. Ganz interessant ist es auch, wenn die Person eine andere Muttersprache hat - dann sprechen wir Portugiesisch, oder Englisch, oder Französisch, oder deutsche Wörter mit unseren Bögen. Da lerne ich auch viel! Nachdem wir unsere Namen, Lieblingsessen, Urlaubsorte, oder sogar Lieblingsgedichte „gespielt“ haben, hat sich der Fokus schon geändert, und der Bogenstrich und der Klang auch. Wir sind also bereit für das erste Stück und die nächste Entdeckung.

Teil 2 kommt nächste Woche!